Hier finden Sie eine Auswahl von Texten, Reden und Zitaten (1997-2017).

 

Vorwort  für den Katalog 2017

Dr. Jutta M. Bagdahn, Kunsthistorikerin, Dezember 2016, Berlin


Ein paar Jahre bevor ich den Berliner Christian Heinrich persönlich kennen lernen sollte, war mir sein Name ein Begriff. Die zunächst einseitige Begegnung erfolgte in der Freiburger Galerie Meier, in der ich ein  Kunstwerk gesehen hatte, das ich nicht sofort einzuordnen vermochte. Irritiert blickte ich seinerzeit auf ein mir unbekanntes Sujet von hohem ästhetischem Reiz in eher kleinerem Format. Es war in wunderbar meditativem Blau gehalten mit relativ stark strukturierter Oberfläche, von haptischer Qualität. Bei näherer Betrachtung hätte ich nur zu gern mit den Fingerspitzen die Oberfläche erkundet.
Den Titel des Werkes erinnere ich nicht mehr, aber da es mich an die Haut eines archaischen Reptils erinnerte, nannte ich es assoziativ „blaues Krokodil“. Nun taten sich erst recht Fragen auf, z.B. Fragen nach dem Bildträger. Handelte es sich um Pergament, Leinwand oder doch nur Papier? Was für Prozesse lassen eine solche Oberflächentextur entstehen? Welche Intention verfolgt der Künstler, ist er Umweltaktivist? Wie hatte ich dieses hängende Objekt einzuordnen, als Gemälde oder Collage?

Erst um 2006  lernte ich den äußerst vielseitigen Menschen und begabten, umtriebigen Künstler Christian Heinrich kennen, erfuhr detailliertes über seinen Werdegang, über sein Können im allgemeinen und die subtile Technik im speziellen; erfuhr eben alles, was ihn zu demjenigen werden ließ, der er heute ist. Mag sich auch vieles im Laufe seines Lebens geändert haben, eines änderte sich jedoch nicht, Christian Heinrich blieb ein Einzelgänger, für den eine Ateliergemeinschaft undenkbar ist. Stets allein und vor allem zuhause im Berliner Atelier setzt er Sinneserfahrungen (Gerüche, längst verblasste Erinnerungsfetzen, Klänge und Töne) seiner Reiseimpressionen in Zyklen um, die sich variiert in bestimmten Themenkreisen wiederfinden. Als Maler arbeitet Christian Heinrich in einer sehr prononcierten und ausgefeilten Bildsprache, deren gestalterische und technische Elemente er konsequent für sich entwickelt hat.

Rückblickend scheint der 1957 geborene Berliner ein eher introvertiertes Kind gewesen zu sein, zunächst weniger dem Malen als vielmehr dem Tüfteln und Basteln zugetan. Es wird sogar kolportiert, er wäre ein überwiegend „unkünstlerisches Kind“ gewesen, dem die Mutter manches Mal fürsorglich bei schwierigen Aufgabenstellungen des Kunstunterrichts helfend zur Hand ging. Vermutlich als Folge besserer Pädagogik vermochte erst das Gymnasium sein tieferes Interesse zur Kunst zu wecken und auch nachhaltig zu fesseln. Jedenfalls war es nur folgerichtig, dass er zwischen 1977 bis 1985 die Fächer Kunstgeschichte und Archäologie (die „alte Tante der Kunstgeschichte“) sowie Publizistik an der Freien Universität Berlin studierte, ehe er mit einem Studium an der Universität der Künste Berlin die Weichen für die eigene künstlerische Laufbahn stellte. Über die Jahre arbeitete er u.a. mehrfach interdisziplinär mit dem Dramatiker Heiner Müller zusammen, wurde 1986 Meisterschüler bei Prof. Herbert Kaufmann, um dann von 1988 bis 1991 selbst eine Dozentur für Bühnengestaltung anzunehmen; denn die darstellende Kunst war von ebenso großem Interesse und bildete für Jahre einen weiteren Schwerpunkt in seinem Leben.
Ab 1995 folgten Studienreisen und Lehrtätigkeiten in mehr oder weniger großen Zeitintervallen; die erste nachhaltig prägende Reise ging 1987 in die Türkei. Standen von 1995 bis 1998 noch die USA im Fokus, besonders seien die Ost- und Westküste nebst dem grandiosen Südwesten hervorgehoben, so wandelte sich das ab dem Jahr 2000. Seither zieht ihn Südafrika magisch an, ein Land, das ihn – nach eigenem Bekunden – bis heute fasziniert, immer wieder aufs
Neue überrascht, in dem er gar seine Wurzeln zu spüren glaubt und sich inzwischen heimisch fühlt.

In der kritischen Aufbruchsstimmung des Studiums folgte Heinrich dem allgemeinen Anspruch, dass Kunst politische sein und das Publikum wach- und aufgerüttelt werden müsse. Entsprechend weit gefasst und unbequem war der Themenkanon, der sich aus deutscher Nachkriegsgeschichte, Tierversuchen und verstörender Umweltproblematik zusammensetzte. Zumeist schnitt er hierzu Fotos aus Zeitschriften wie Geo und Stern aus, fügte Teile davon zu einem Puzzle zusammen und übermalte sie später mit greller Ölfarbe, so dass eine sogenannte „Ölcollage“ entstand, ein Begriff, den er aber erst ab 1990 verwendete. Doch endete diese Art des kritischen Realismus, der der Montage noch näher stand als der Collage, in der trüben Erkenntnis, dass geballtes Leid nur Aversion und Distanz evoziert. Da das Publikum jedoch hin- und nicht wegschauen sollte, wollte er zukünftig andere, anziehendere Wege beschreiten. Vom Konkreten wandte er sich zum Nicht-konkreten, jedoch bleibt bis heute in seinen Werken durchaus ein figurativer Bezug erkennbar, der sich häufig in abstrakten Landschaften niederschlägt, aber gelegentlich tauchen auch amorphe Formen auf, die eine unbestimmte menschliche Präsenz suggerieren. Überhaupt ist Christian Heinrich ein Meister der Suggestion mit einer Collagekunst per exellence. So schuf er Collagen auf Sandgrund,  experimentierte um Mitte der 90er Jahre mit handgeschöpften Bütten-, Seiden- und Japanpapieren auch fanden sich gegen Ende des Jahrzehnts Reliefcollagen auf Holz in seinem Repertoire.

Alle Reisen sind für Christian Heinrich prägend gewesen und von überall brachte er Souvenirs mit. Dennoch, die ganz große Faszination für sein wichtigstes Arbeitsmittel ereilte ihn in der pulsierenden Weltmetropole New York, wo er am Broadway sein El Dorado in Kate’s Paperie entdeckte. Das heute leider nicht mehr existierende Geschäft vertrieb handgeschöpftes Papier aus aller Herren Länder in allen Stärken. Sie kamen z.B. aus Südamerika, Asien nebst Indien sowie Afrika mit einer Texturvariation, die von spinnwebenzart  bis äußerst faserreich und kräftig reichte. Da aufbereiteter Reis gegebenermaßen eine andere Materialeigenschaft als exotischer Elefantendung besitzt, birgt jedes Stück Bütten seine eigene Geschichte.
Was als Reisemitbringsel im Berliner Atelier akribisch archiviert liegt, kann Jahre später der Verwendung zugeführt werden. Vor der Ideenumsetzung, hier fließen Zufall und Planung kontrolliert ineinander, steht eine vielfältige Bearbeitungsweise der kostbaren Papiere. Sie werden getränkt, geölt, in Leim getaucht, unterschiedlichen Trocknungsprozessen unterworfen, gerissen, geknautscht auch angebrannt. Auf diese Art können aus dem Bildgrund Schicht um Schicht schollen- oder inselartige Papierlagen empor wachsen, die quasi Reliefcharakter entfalten. Wenn als nächster Schritt Farbe aufgetragen wird, mal als feine altmeisterliche Lasur oder mal kräftig als eigenes Farbrelief, unterliegt auch diese Farbhaut einer weiteren Bearbeitung. Hier wird geritzt, geschabt und wieder geglättet, noch feuchte Partien zusammengeschoben oder bis zum Zerreißen gedehnt. Das Spiel mit unterschiedlichen Papieren und ihrer zweidimensionalen Fläche kreiert dreidimensionale Gebilde mit geheimnisvolle Oberflächen, die Eigenschaften von weich, hart, metallen, feucht oder fettig vortäuschen können.
Was zunächst mit einer breiten Palette erdiger Beige-, Braun-, Grautöne erweitert um leuchtendes Gelb und Orange begann, vergrößert sich um tiefe satte Rottöne bis zu Purpur und Violett auch Blau, vom zarten Aquamarin bis Tintenschwarz; reine Farben wechseln mit stumpfen, wie überstäubt aussehenden Koloriten. Die „afrikanischen Collagen" z.B. spiegeln die kraftvolle Urwüchsigkeit des schwarzen Kontinents wider. Auf einmal scheinen ruhige Flächen, man glaubt Mauervorsprünge, staubige Straßenfluchten, verwinkelte Hüttenvorsprünge in dampfendem Sonnenlicht zu erkennen, unter afrikanischer Sonne zu vibrieren. Die Intensität, nicht die Buntheit nimmt zu.

Da Papier, weltweit sind über 3000 Sorten bekannt, die stoffliche Basis unseres Wissens und unserer Kreativität ist, - wir lesen, zeichnen, malen und schreiben auf Papier -, wird Christian Heinrich, dessen Arbeiten sei 1987 in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland zu sehen sind, hoffentlich weiter Erstaunliches und Unvermutetes auf, mit und aus Papier schaffen. Möge er uns weiterhin einladen, zu „vertrauten Spuren“, zu „kleinen Traumreisen“, zu Erinnerungen an Colorado, Manhattan oder Vorgebirgen und Küstenlandschaften sowie mystische Tropfsteinhöhlen… Andererseits, möge er uns noch lange teilhabenlassen an seinen Wandlungen und Aufbrüchen respektive Häutungen.

 


 

Zur Ausstellung “Wandlungen - Arbeiten auf Papier“, Artgalerie Siegen, Siegen

Text: Kirsten Schwarz (Museum für Gegenwartskunst), März 2015, Siegen

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Papier ist die stoffliche Basis unseres Wissens und unserer Kreativität. Wir lesen, schreiben, malen und zeichnen auf Papier. Vielleicht wird das Material Papier, das uns tagtäglich umgibt und jederzeit verfügbar ist, eines Tages tatsächlich durch seine digitale Form ersetzt. Wird es uns dann fehlen? Ganz sicher wird es den Künstlern fehlen, die von den Materialeigenschaften inspiriert werden wie Christian Heinrich.
Die Unmittelbarkeit im Umgang mit Papier als künstlerischem Material ermöglicht vielschichti-gere Gestaltungsmöglichkeiten  als die alleinige Nutzung als Malgrund. In der Kunst dient   Papier normalerweise als Untergrund und bleibt damit im Hintergrund, es bildet das notwendige Trägermaterial des Künstlers um auf ihm Kunst entstehen zu lassen. Allerdings offenbaren sich dem  abseitig Suchenden  völlig neue kreative Möglichkeiten, wenn er versucht Kunst aus Papier zu machen. Man kann Papier falten, knicken,  knüllen, zerreißen, zerschneiden, schichten, bekleben, befeuchten, aufrauen, anbrennen oder perforieren. Diese sowohl destruktiven wie konstruktiven Verfahrensweisen führen dennoch alle zu neuen überraschenden Erscheinungsformen des Materials Papier.
Vieles davon hat Christian Heinrich schon ausprobiert seit er 1995 Papier als sein künstlerisches Ausdrucksmittel entdeckte. In einem Laden in New York fand er eine große Auswahl handgeschöpfter Papiere aus aller Herren Länder und aus den außergewöhnlichsten Ausgangsmaterialien wie etwa Elefantendung. Die Erscheinung jedes Papiers ist individuell, die Oberflächenstruktur, die Farbe, die Textur unterscheiden sich und geben jedem dieser Unikate ein eigenes Gepräge. Die Isotropie macht den besonderen Reiz aus, da alle Fasern einer Zufallsausrichtung unterliegen, so entsteht ein ungeordnetes Gemenge, welches auch einen haptischen Reiz entfaltet. Christian Heinrich nutzt all diese Eigenschaften und unterstreicht sie in seinen Bildobjekten. Trotz vielfältiger Verformung und Anordnung bleibt die Struktur und damit Eigenheit des Materials stets erhalten. Die plastischen und transformierenden Möglichkeiten in der Verarbeitung des Materials sind ungleich größer als beim reinen Bemalen. Die reliefhaften Ausbildungen durch Schichtungen, Einreißen, Abreißen, Knautschen oder Aufdrücken, prägen diesen taktilen Teil des  Arbeitsprozesses.
So wird beim Papier aus einer ursprünglich ebenen, zweidimensionalen Fläche durch relativ einfache Aktionen ein dreidimensionales Gebilde. Es entstehen Flächen aus unterschiedlichen Strukturen, die Christian  Heinrich weiter bearbeitet indem er sie  in Öl tränkt oder mit Leim bestreicht um anschließend Farbe aufzutragen, deckend oder lasierend. Eine künstlerische Kaschierung könnte man sagen, doch damit ist der Prozess noch nicht beendet. Die geformten Strukturen werden nun aufgeraut, eingeritzt, geglättet oder abgeschabt. Die Bilder werden zu Palimpsesten in denen der Besucher lesen kann wie der Geologe in einem Schnitt durch die Erdschichten. Vergänglichkeitsprozesse werden nachlesbar. Es entstehen schwer zu entziffernde Mäander, Marmorierungen, feinste Verästelungen oder durchscheinende Strukturen, die den Betrachter neugierig machen und  zu eingehender Betrachtung verführen.
Inhaltlich schwanken die Werke zwischen abstrakter Flächenbearbeitung und assoziierten Landschaften. Blaue Flächen im oberen Bildteil, erdfarbenen im unteren Bereich. So entsteht die Idee eines Blickes in die Landschaft ohne dass man einen bestimmten Ort benennen könnte. Man wird jedoch zugleich auch immer wieder mit dem Material konfrontiert, da Konturen aus dem Wechsel der Oberfläche gebildet werden und die ausgefransten Ränder an die Beschaffenheit des Papieres erinnern. Christian Heinrich besuchte mehrmals Südafrika und den Südwesten Amerikas, deren Lichtverhältnisse und Landschaftsfarben gänzlich verschieden zu den mitteleuropäischen erscheinen. Dieses Farbenspiel wird in einigen Werken Heinrichs aufgegriffen und  seiner plastische Formensprache hinzugefügt.  Er selbst  sieht seine Intention in der Bündelung von Erinnerungen, Eindrücken und Gefühlen um diese atmosphärisch aufzuladen, ohne jedoch zu konkret zu werden. Dem Betrachter bleibt der Spielraum für eigene Assoziationen.
Die Farbe bildet die letzte Schicht im aufwendigen Arbeitsprozess und zugleich den ersten Zugang des Betrachters zum Bild. Christian Heinrich bevorzugt Pastelltöne, Erdtöne und Farbharmonien ohne starke Kontraste, er verwendet die Farbe um das Material zu betonen,  hier steht nicht die Farbe im Vordergrund. Man findet metallische Akzente, die wie Sternenglanz wirken neben schlichten Materialien wie Jute. Der Blick wird hin-und hergerissen zwischen Oberflächen, Strukturen und Farbfeldern. Blockartige, erdverbundene Formen liegen neben Spuren, die sich im Bild verlieren oder federleichten Einsprengseln, hauchdünn und schwerelos. Jede Fläche hat ihre Besonderheit und zusammen bilden sie eine harmonisch durchdachte Komposition. Der Weg zur Abstraktion, so formuliert es Christian Heinrich selbst, befreit von gewohnten Sehstrukturen. Die Formerfindung und die anschließende Behandlung dieser Form im eigenen kreativen Duktus führt zu  einer individuellen Bildsprache, die immer weiter verfeinert wird, könnte man den Gedanken fortführen.
Da weltweit über 3000 Sorten Papier bekannt sind, wird Christian Heinrich hoffentlich weiter Erstaunliches und Unvermutetes aus Papier schaffen und eben nicht nur auf Papier.


 

Kunstzeitschrift "Vernissage", Brod-Verlag, Österreich

Text: Marlene Jochem, Theodor-Zink-Museum, Kaiserslautern, 2001

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Christian Heinrich, Jahrgang 1957, studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Publizistik, ehe er mit einem Studium an der Hochschule der Künste Berlin die Weichen für die eigene künstlerische Laufbahn stellte. Interdisziplinären Arbeiten zwischen Bildender Kunst und Theater galt sein besonderes Interesse: es gab gemeinsame Projekte mit dem Dramatiker Heiner Müller. Er übernahm eine mehrjährige Dozentur für Bühnengestaltung, Bühnentechnik und Figurenspiel an der Hochschule der Künste Berlin und konzipierte Ausstellungen. Als Maler arbeitet Christian Heinrich in einer sehr prononcierten und ausgefeilten Bildsprache, deren gestalterische und technische Elemente er konsequent für sich entwickelt hat. Seit 1987 sind seine Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland zu sehen.

Seine Ölcollagen wirken nur auf den ersten flüchtigen Blick wie zweidimensionale Bilder; beim näheren Herantreten entfaltet sich ihre Räumlichkeit, die Bewegung ihrer Oberfläche. Auf einen Bildträger - Bütten, Leinwand oder Holz - werden viele Lagen verschiedenartiger Papiere aufgebracht, die sich in Stärke, Materialeigenschaft, Dichtigkeit und Oberflächenkonsistenz unterscheiden: hauchdünne Seiden- und Reispapiere, transparentes Pergament, kräftiges Bütten bis hin zum dicken afrikanischen Elefantendungpapier. Diese handgefertigten Papiere, die Spuren ihrer Rohstoffe und Bearbeitung tragen, werden auf vielfältige Weise behandelt, ehe Heinrich sie auf den Bildträger aufbringt. Sie werden getränkt, geölt, in Leim getaucht, unterschiedlichen Trocknungsprozessen unterworfen, gerissen, geknautscht, angebrannt. Schicht für Schicht wachsen schollen- oder inselartige Papierlagen aus dem Bildgrund hervor.

Das Bearbeiten geht nach dem Collagieren, dem Über- und Nebeneinanderkleben der Schichten weiter, indem Farbe aufgetragen wird, teilweise als homogenisierender, zusammenfassender Überzug, als ein das Relief nur lasierendes zartes Kolorit oder, wieder in mehreren Schichten, als eigenes Farbrelief. Auch die Farbhaut wird noch einmal bearbeitet, geschabt, geritzt, verletzt, aufgerauht oder geglättet. Noch feuchte formbare Partien werden zusammen geschoben oder bis zum Zerreißen gedehnt.

So entsteht neben der räumlichen Dimension eine Oberflächenstruktur, die einen Akt der Verkrustung, Erstarrung, Vernarbung assoziiert und der haptischen Vorstellung dadurch Eigenschaften suggeriert wie weich, formbar, hart, kristallin, rauh, feucht oder fettig. Die Oberflächenstruktur verweist auf Entstehungs- oder Vergänglichkeitsprozesse und impliziert die Dimension Zeit. 

Scheinbar ungestalte amorphe Schichtungen setzt Christian Heinrich durch Gewichtung der Flächen und Massen und durch das Zusammen- oder Gegenspiel der Farben in eine sehr bewusste und geklärte Komposition um. Die Waagrechte als beruhigter Bildhorizont kehrt immer wieder und erlangt in einigen neueren Arbeiten Bild beherrschende Dominanz. Quadrat- oder Rechteckblöcke, Verzahnungen und Verschränkungen bilden die festen, ruhenden Bildelemente, die durch ihre geschlossene Kontur in sich zusammengehalten werden. Kontur bedeutet hier nicht nur Umrisslinie, sondern, ganz materiell, Begrenzung von Schichten und Massen. Daneben gibt es heftige Schrägen, die als dynamisches Element die Bildruhe zerreißen, sowie flüchtige, sich in Konturlosigkeit auflösende Formen oder eruptive, aus einem eng begrenzten Bereich sich explosionsartig ausbreitende Massen.

Die großformatigen jüngeren Arbeiten verbinden das aus großen Blöcken gebaute Bildgerüst mit einer faszinierenden Farbigkeit, die nicht aus dem Kontrast, sondern aus der Konzentration, Gestimmtheit und gegenseitigen Intensivierung lebt. Die breite Palette erdiger Beige-, Braun- und Grautöne spielt häufig in leuchtendes Gelb und Orange. Hinzu kommen tiefe, satte Rottöne von loderndem Feuer bis zu reifem Purpur und Violett, dann Blau, vom zarten Aquarell bis zur tintenschwarzen Tiefe des Nachthimmels. Reine Farben wechseln mit „Verschleierungen“ oder stumpfen und wie überstäubten Koloriten. In den neueren Arbeiten, in denen afrikanische Reiseimpressionen nachklingen, nimmt die Intensität der Farbe, nicht Buntheit, zu.

Abstrakte Form- und Farbkomplexe fügen sich figurativ zu imaginären Landschaftsräumen fernab jeder konkreten Verortung. Es sind die Formationen und Strukturen, es ist das Erscheinungsbild der Oberfläche, ihr Kolorit, das naturhafte und geomorphologische Phänomene assoziiert, Stimmungen hervorruft oder das Wirken elementarer Kräfte evoziert. Die Titel, die Heinrich seinen Arbeiten gibt, appellieren an die assoziative Fantasie des Betrachters, sind aber keine verbindlichen Vorgaben. Wesentlich für sein Gestalten ist, dass er „Bildhaftigkeit“ nicht durch Linien, Formen, Farben, Symbole projiziert, sondern ganz materiell mit den verwendeten Stoffen, den Papieren, dem Leim, der Ölfarbe erzeugt.

Nicht immer bewegt sich Christian Heinrich auf dieser imaginären Ebene. In der Serie seiner neuen Afrikabilder findet „Verortung“ auf verschiedenen Ebenen statt. Zeichenhafte, doch stofflich konkrete textile Eckmotive mit typisch afrikanischen Mustern verweisen die Bilder in einen bestimmten Kontext. Die eigentlichen Bilder erzeugen formal und farblich Landschaftsassoziationen; wie bei einer Spielkarte verbinden sich Bild und Symbol. Doch von deren serieller Beliebigkeit unterscheiden sie sich durch die originäre Bildkraft, die sich gegen Ornamentalisierung und Formalisierung behauptet.

 


 

Zur Ausstellung “Horizonte“, Galerie Ines Schulz, Dresden

Text: Adina Rieckmann, Oktober 2006, Dresden

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„Unterwegs“ heißt ein Gedicht von Sarah Kirsch.

Mein Körper der mich begleitet                                                                                                                                   Lebenslänglich verfolgt                                                                                                                                               Von einem dunklen Schatten                                                                                                                                      Geformt wie ein Hund versessen                                                                                                                               Um mich zu sein                                                                                                                                                         Ein paar Worte mit Kreide                                                                                                                                           Auf die Straße geschrieben im Regen

Er ist auch unterwegs, der Berliner Künstler Christian Heinrich. Gottlob schreibt er seine Worte nicht mit Kreide, nicht auf die Straße, nicht im Regen. Gottlob schreibt er uns seine Worte auf die Leinwand, auf Bütten, auf Holz. In Braun- und Gelbtönen, Rostspuren, in mehrfarbigem Schwarz und manchmal mit sandigem Material. Christian Heinrich erzählt uns von seinen Reisen, lädt uns ein, mitzugehen, auf „vertraute Spuren“, „kleine Traumreisen“. Er erinnert sich – und wenn wir wollen, auch für uns Betrachter – an Colorado, an Manhattan, an Vorgebirge, an Küstenlandschaften, an mystische Tropfsteinhöhlen, an Rauschzustände. Wir müssen diesen Wegweisern nicht folgen, wir können uns unsere eigenen Wege suchen. Leichter allerdings wird es nicht. Heinrich verwehrt sich dem schnellen Blick. Wer ihn verstehen will, wahrnehmen im wahrsten Sinne des Wortes braucht Zeit. Zeit zum Eintauchen in einer unendlich scheinenden Welt. Wie anders soll man diese gegenstandslosen Bilder eines Reisenden verstehen, die auf nichts verweisen, nur auf sich selbst? Auf ihre Schönheit, auf ihre Gelassenheit, auf ihr beredtes Schweigen. 

Was bietet Christian Heinrich uns als Hilfe an? Geheimnisse: alte Gemäuer, moosige Flechten, Sprünge und Risse in trockener Erde, zerklüftete Felsen und ein betörendes Licht, gelb, heiß, flirrend – eine lähmende, staubige, surreale Atmosphäre legt sich über die Bilder. Alles scheint wie verwaschen und ist doch - dann wieder - ganz klar, mit einer unglaublichen Leuchtkraft. Mit anderen Worten: Collagekunst per exellence. Handgeschöpftes Papier unterschiedlicher Art und Herkunft, getränkt in Öl, getaucht in Leim, gerissen, geknautscht, angebrannt. Sorgfältig aufgetragene Farbschichten, und auch diese noch einmal bearbeitet, geschabt, geritzt, malträtiert, geglättet, vorsichtig zusammengeschoben oder bis zum Zerreißen gedehnt. So entstehen Räume, Schichten, scheinbare Zeitverläufe. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, vor einem Ausgrabungsfeld zu stehen, man sieht förmlich die Archäologen, wie sie Schicht für Schicht freilegen, die Erde zerbröseln, sie abklopfen, wie sie dem Boden in stundenlanger Arbeit Erinnerungsstücke mühsam entreißen. Die Oberfläche dieser Collagen scheint verkrustet, erstarrt, vernarbt. Man möchte sie berühren, spüren, ob der Eindruck täuscht oder stimmt. Sind diese Reliefs weich, kristallin, rauh, feucht oder fettig und wenn all das nicht, wie dann?

Der Berliner ist ein Meister der Suggestion. Seine Bilder ziehen in den Bann. Sie sind distanziert, vorsichtig, verhalten. Verhalten unruhig, ja erschreckend subtil. Schauen Sie sich nur den „Roten Rausch“ an. Bitte, schauen Sie genau hin. Sie dringen ein und verlieren sich, ihr Blick wird weit und weiter. Und auf einmal sind Sie mittendrin im Flammenmeer, Sie können sich dem nicht entziehen, wenn Sie es wirklich wagen, hier einzudringen, ist eine Flucht nicht mehr möglich, Sie verzehren sich in der Hitze.

Man sollte Christian Heinrich unbedingt danach fragen, warum er sich diesem lodernden Feuer aussetzt, warum er uns das antut. Der Berliner, Jahrgang 1957, studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Publizistik, bevor er sich der Kunst zuwandte, mit einem Studium an der Hochschule der Künste Berlin. Der Meisterschüler von Professor Herbert Kaufmann interessierte sich schon früh für interdisziplinäres Arbeiten. Gemeinsame Theaterprojekte mit dem Dramatiker Heiner Müller und eine mehrjährige Dozentur für Bühnengestaltung, Technik und Figurenspiel an der Kunstakademie in Berlin berichten davon. Seit 1987 sind seine Arbeiten in Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland zu sehen. Die geheimnisvollen Reisebeschreibungen von Christian Heinrich finden längst Anklang.

Verständlich. Schauen Sie sich nur „Night mirror“ an. Sehr schwarz, grau, braun, sehr erdig. Sehr distanziert. Und gefährlich. Tintenschwarz tief. In dieser Tiefe die linearen Strukturen. Irgendwie wird alles von strenger Hand festgehalten. Gleichzeitig aber ist alles offen. Ich sehe den Ritter der Nacht, das Visier ist heruntergelassen, der Blick allerdings geht ins Leere. Dann aber wieder sehe ich Spiegel über Spiegel oder gar Straßen. Alles ist sehr geometrisch, sehr geordnet, tatsächlich wie Straßenzüge, wie Straßenzüge in New York. 1. ,2., 3. Straße, New York - eine Stadt entstanden am Reißbrett, und auch eine Ölcollage auf Leinwand. Das ist kein Zufall. Christian Heinz war 1995 in New York. Dort am Broadway hat er diese Stapel Papier entdeckt, Büttenpapier aus Seide, aus Reis, aus Pergament, aus Elefantendung. Dort hat er angefangen mit seinen Papiercollagen.

Ich möchte Ihnen noch eine Arbeit vorstellen. „Magic Cango Cave“, eine Holzarbeit von 2001. Auch diese mystische Tropfsteinhöhle entzieht sich dem schnellen Blick, der schablonenartigen Einordnung. Hier scheinen sich Formationen in Ocker, Gelb, Schwarz und Rost zusammen zu schieben. Schauen Sie bitte genau hin, sie können die tropfenden Steine tatsächlich sehen. Und nicht nur das. Sie erleben auch das Licht, die Landschaft eines südlichen Afrikas. Auch dieses Bild ein Reisebild.

Der Berliner Christian Heinrich, ein Reisender, ein Suchender, ein Kind mit offenen Augen. Möge er auf all seinen Wegen immer eine Zuflucht finden. Möge er wenigstens immer ein paar Worte mit Kreide schreiben. Auf die Straße, selbst wenn es regnet. Er erzählt so faszinierend. Gottlob.

 


 

« Bildobjekte aus Papier und Farbe »

Text zum Katalog: Hermann Wiesler, Berlin 1998

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Handgeschöpfte Büttenpapierstücke, einem Bildträger aufgeklebt, darüber in mehrfachem Zug Ölfarbe - das sind die Bestandteile der Arbeiten auf Papier von Christian Heinrich.

Seine Bildobjekte erscheinen naturhaft aus eigenem Recht, sie haben so etwas wie Präparatcharakter. Nichts ist konkret abgebildet. Kein Gegenstand ist erkennbar. Die Arbeiten sind eigentümlich handfest: Die verhältnismäßig kleinen Formate liegen gewichtig in der Hand; die Farbwerte, zurückgenommen, beinahe diffus wie sie sind, erscheinen intensiv, entlassen nachdrücklich einen eigenen Leuchtwert.

Zufall und Planung fließen bei der Arbeit ineinander. Heinrich klebt auf den rechteckigen Bildträger kleiner werdende Papierstücke. Dies - Bütten, Seiden- und Japanpapiere - sind unregelmäßig, sind beliebig gerissen. In der Regel werden kleinere größeren Fetzen mit Hasenleim oder Kunststoffbinder aufgesetzt. Diese farblose Komposition formuliert Flächenspannungen. Zum Rand hin, vom Rand weg. Sie gliedert sich in fünf oder sechs Schichten.

Schon während dieser Montage trägt Heinrich dem Papierrelief mit dem Spachtel Ölfarbe auf, teils lasierend, teils deckend. Spachtel und auch Pinsel sind breit. Der Maler setzt zwar Akzente, liebt Verdichtungen und Ausdünnungen, ist jedoch alles andere als ein minutiös tüftelnder Miniaturist.

Der Bildrohling, die geklebten Papiere, hatten noch Reliefcharakter. Deckende Farbkraft hebt diesen auf. Die Farben sind flächig aufgetragen. Blautöne, erdfarbene Werte in schwer zählbaren Nuancen, dann Weiß- und Grauwerte aller Stufungen. Die Bildhaut ist rauh. Farbig deckt sie die ganze Fläche. Die Farbwirkung ist ruhig, nicht lebhaft-hektisch. Verhalten, fast kontemplativ wirkt sie wach; bei aller ihrer eigenen gebremsten Verhaltenheit ist sie alles andere als müde, passiv.

Unmittelbar ablesbar ist, wie sich im Arbeitsprozeß Hand- und Kopfarbeit durchdringen. Es gibt spontane Setzungen des Papiers wie auch der Farbe, doch alles ist kontrolliert; Heinrich arbeitet mit Papierfetzen, aber seine Kunstarbeit ist nicht fetzig. Seine Bilder, die von weitem an solche von Wols, von Michaux erinnern mögen, sind lässig-spielerisch wie unverkrampft kontrolliert erarbeitet. Kein Rausch. Ruhige sichere Gelassenheit. Gerade diese sichert den Objekten ein stilles Beben, eine verhaltene Unruhe. Größere stillintensive Bewegungen also als sie auftrumpfende hektische Malerei erreichte: Diese setzt - was durchaus Sinn machen kann - auf den Augenblick, Heinrich setzt auf Dauer. Bilden seine Arbeiten nicht unmittelbar natürliche Dingwelt ab, so stecken dennoch in ihnen Erinnerungen an Mauerflächen, an aus Wandstücken gebrochen zurückstrahlendes Sonnenlicht, an organischen Flechtenwuchs, der stückhaft palimpsestartig aus dem Papier zu wachsen scheint.

Klarheit des Diffusen spricht. Die Suggestivkraft seiner mischfarbenen Werte könnte Heinrich als Aktionsmaler oder Pointilist nicht erreichen. Die Wendung ins Verhaltene, das Zurücknehmen von Hektik, geben den Bildern langen Atem, nachdrückliche nicht auftrumpfende Vitalität. Eigentümlich sind das Gegen-, das Miteinander von subtilen Binnenstrukturen, Verdichtungen aus aufreißender Farbe und sonor gesetztem weiten Farbklang. Das Vermeiden hart geführter rahmender Lineaturen, ausgesuchte Mischfarbigkeit, geben über alle kompositorischen und farblichen Spannungen hinweg Homogenität.

Das Diffuse seiner Bilder formuliert Heinrich sachlich und konkret. Papiermaterial wie Farben sind ohne Schummerton, ohne suggestives Pathos organisiert. Nicht umsonst - jeder Künstler, jede Kunst brauchen Vor-Bilder, gegen die anzuarbeiten, von denen wegzuarbeiten ist - schätzt Christian Heinrich die Bildwelten von Marc Rothko, Emil Schuhmacher, Fred Thieler. So wird eine Hauptleistung moderner Kunst auch bei Heinrich sichtbar: die Wirkungsmacht auf begrenzter Fläche artistisch instrumentalisierter Farbe.

Auch Heinrichs Bilder verkünden, lehren darum nicht nur Nichts, sie sind folgerichtig auch sinn-los, sie verweisen auf keine Inhalte außerhalb ihrer selbst. Allein ihre Artistik zählt. Diese sichert jedem Bild dem ihm eigenen Wert an sich. Darum ist jedes dieser Bilder eine Herausforderung an den Betrachter, die ihm eingestifteten Bildwelten für sich, für seinen Augensinn zu beleben.

Perspektivisch konstruierte Tiefenräumlichkeit fehlt. Farbauflichtungen allein geben Raum, imaginieren auf einigen Bildern teilenden Horizont. Mit diesen Erscheinungen kann der Betrachter spielen. Da Heinrich rundum, von allen Seiten die Bildfläche drehend bearbeitet, sind oben und unten nicht immer eindeutig bestimmt. Dies eine weitere Herausforderung an den Betrachter, ein Bild für sich zu definieren. Wie sieht das konkret aus? Drei Beispiele zeigen das:

Detail of View III, 1997

Zwei Papiere nebeneinander auf ein größeres montiert, lassen an ein imaginäres Buchstilleben denken. Die beiden Flächen erscheinen als aufgeschlagene leere Seiten. Wird das Querformat um seine senkrechte Achse dergestalt gedreht, daß die helle "Seite" links steht, die rechte verhangen zum Rand kippt, dann - so sehe ich das Bild - lebt die Arbeit in einem gespannten Gleichgewicht. Graue, gelbe, weiße Töne herrschen. Freigeführte Ritzungen verspannen von den "Buch"-Rändern zu den Bildkanten geführt das Binnenzentrum mit der gesamten Fläche. Da jede Form sich (auch) aus ihren Grenzen definiert, offenbart sich hier die Methode Heinrichs, zu den Bildecken hin seine Farbwerte so vibrieren zu lassen, als drängten sie aus dem Bild oder schöben sich hinein.

Sense of Snow, 1997

Ein flächenbeherrschender "Keil" aus grobfaserigem Material liegt der Bildmitte auf. Kraft der Bildwirkung verhärtet sein feines organisches Material: Es entsteht die Wirkung eines raketenhaft steigenden oder aus bleichem Himmel aggressiv fallenden Elements. Doppelte Kraftlinien begleiten es. Schwunglinien drängen nach unten. Sinnlos, auf die Größe des "Keiles" zu spekulieren. Das Bild ist keine Miniatur. Es zeigt, wie es Heinrich gelingt, Bildmonumentalität ohne gigantesken Aufwand zu gewinnen.

California Highway, 1998

Rostgefärbter Nessel markiert über hochliegendem Horizont Himmel. Perspektivlos "unendliche" Wüstenweite, keine Vegetation, Sand, Trockenrisse. Die eingesetzten Farbklänge gelb-braun mittig, purpurfarbender Rost oben, grau.schwarz unten, erlauben auch, an eine rasende Fahrt zu denken, vobei an einer sich unscharf gelb-braun abspulenden Wand.

Überflüssig, überall vexierbildhaft versteckten Inhalt zu suchen. Die Bilder von Christian Heinrich besitzen keinen handfesten, literarisch-anekdotenhaft faßbaren Inhalt. Sie eröffnen offensives Sehen.

 


 

« Wie ein Kochrezept entsteht plötzlich etwas! »

Text: Alexandra Beusterien, September 2006, Berlin

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Schon immer ein Tüftler und Bastler, aber überwiegend ein „unkünstlerisches Kind“. So sprang seine Mutter manches Mal helfend und vor allem malend ein, wenn im Kunstunterricht eine Hausaufgabe abzugeben war. Erst mit seiner Kunstlehrerin am Gymnasium zeichnete er stundenlang im Berliner Zoo und im Botanischen Garten unter spontanen Aufforderungen „So, heute malen wir mal den tropischen Regenwald!“

Seine frühen Arbeiten tragen noch stark politisierende Züge. Sie spiegeln überwiegend die gesellschaftspolitische Untergangs-stimmung der 80er Jahre wieder. Unbequeme Themen wie Tierversuche und die wachsende Zerstörung der Umwelt wurden kraftvoll abstoßend umgesetzt. Dem kritischen Realismus nahe, schienen seine Bilder mit wilden Farbschreien den Betrachter wachrütteln zu wollen: „Schaut, was da passiert, geht vorsichtiger mit eurer Umwelt um!“ Erst später wuchs die Erkenntnis, dass geballtes Leid Aversion und Distanz beim Publikum evozieren. „Nur mit Zerstörung kam ich nicht weiter. Ich wollte, dass die Menschen hin- und nicht wegschauen. Ich wollte dem Betrachter einen positiven Weg aufzeigen!“ Weg vom traumatisierend Resignativen hin zu einer verdaulicheren Bildaussage.

In den Achtzigern entstehen erste Montagen aus Zeitungspapier. Es folgten Collagen auf Sandgrund, Mitte der Neunziger Collagen mit handgeschöpftem Bütten-, Seiden- und Japanpapier, 1999 dann Reliefcollagen auf Holz. Knackpunkt seiner Papierfaszination: sein Aufenthalt 1995 in New York, bei dem er ein „Eldorado für Papierfreaks“ entdeckte; einen Laden mit hunderten von unterschiedlichen Papieren, manche strukturiert wie menschliche Haut, manche an Rinde erinnernd. Jedes Stück Papier, das er in seine Arbeiten einbindet, birgt eine eigene Geschichte. Der Einsatz von Papier weist auf die globale Intention des Künstlers: Papiercollagen sprechen weltweit eine einheitlich-verständliche Sprache. Zuhause in Berlin archiviert er dann akribisch seine Reisemitbringsel: verschiedenste Papierarten und -größen. Oft warten die Reisesouvenirs mehrere Jahre auf ihren Einsatz. Klar strukturiert und sauber – so stapeln sich die Papierberge in seinem Atelier. Unverkennbar die ordnende Hand des einstigen Archäologiestudenten! Heinrich bezeichnet sich schon früh als Einzelgänger, und auch heute arbeitet er stets allein und vor allem zuhause im Atelier: Schaffen in Gemeinschaft…undenkbar! Die Papierstücke sind oft unregelmäßig gerissen und werden mit Hasenleim oder Kunststoffbinder aufgeklebt. Nicht nur beim Auftrag der Ölfarbe geht er altmeisterlich lasierend vor: auch die handgeschöpften Büttenpapierfetzen werden Schicht um Schicht auf den Bildträger aufgebracht, auf die sich dann dünnflüssig der Farbauftrag legt. Das Spiel mit unterschiedlichen Papieren kreiert geheimnisvolle Oberflächen. Grobfaserige, organische Materialien laden zum Anfassen ein, erinnern an Flechtenwuchs, verwittertes Gestein und Risse in trockener Erde.

Seine Werke sind abstrakt. Kein einziger Gegenstand ist konkret abgebildet, jedoch immer ist ein figurativer Bezug vorhanden: meist können Landschaften, auch Stadtlandschaften entziffert werden. Auffallend ist die vermehrt geometrische Formensprache mit der die staubigen Gassen und verwinkelten Ecken Kapstadts abgebildet werden. Jedoch tauchen auch gelegentlich amorphe Formen auf. Sie suggerieren eine unbestimmte menschliche Präsenz. Ruhig und zurückgenommen wirken die Farben: blau in allen Abstufungen, erdige Farben, weiß und Grautöne. Sie alle strahlen Stille und Ausgewogenheit aus. Unverkennbar, Heinrichs Vorliebe für die Farbquadrate eines Marc Rothkos.

Von 1995 bis 2001 macht Heinrich ausgedehnte Reisen nach New York, in den Südwesten der USA, in die Türkei sowie längere Aufenthalte in Kapstadt. So spiegeln die „afrikanischen Collagen“ die kraftvolle Urwüchsigkeit des schwarzen Kontinents wider. Seine ruhigen Flächen scheinen unter afrikanischer Sonne zu vibrieren. Man meint Mauervorsprünge, staubige Straßenfluchten, verwinkelte Hüttenvorsprünge in dampfendem Sonnenlicht zu erkennen. Jedoch ist Heinrich ein großer Interpretationsspielraum wichtig. Persönliche Afrika-Erinnerungen sollen hervorgekitzelt werden. Heinrichs Sinneserfahr-ungen sind bildbestimmend: so dienen Gerüche, halbverblasste Erinnerungsfetzen, Klänge und Töne als Malanstoß. Wichtig ist die Muße, unterschiedliche Eindrücke aufzusaugen, im Atelier mit Öl und feinen Papieren umzusetzen. „Wie ein Kochrezept entsteht da plötzlich etwas!“

 


 

Zitate aus Pressetexten, Kritiken und Texten 1992-1999

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« Nicht zuletzt sind es die geheimnisvollen Oberflächen der überarbeiteten Papiere, die an altes Gemäuer oder Ausgegrabenes erinnern. Poetische Bilder vom Maß der Zeit, das durch Wandlung bestimmt wird ».

Klaus Zimmer in Deister- und Weserzeitung, Oct.28, 1992


« In den neuesten Arbeiten scheint sich die Bildfläche zu dehnen, nun ist sie das Zentrum, das von innen erkundet wird. Und auf dem Leinwandgrund liegt das Außen. Alle fragmentierten Materialien werden ins Bildganze integriert. Geborgenheit bringt der weit gewordene Raum, lässt Forschen und Herumwandern zu und zeigt immer wieder Öffnungen, Ausblicke, Es scheint, als könne man sich Zeit lassen ihn zu durchschreiten. Eine große Ruhe atmet darin ».

Iris Billaudelle, March 1993


« Immer aber bleibt ihm das Glück, das in der Materie selbst verborgen und offenbar ist, das Glück, das mit den unterschiedlichen Papieren, mit der Transparenz der Farblasuren spielt. Die Bilder korrespondieren mit der Sinnlichkeit des Feinschmeckers: unvermutete Kompositionen von ganz besonderen „Saft" ».

Klaus Zimmer in Deister- und Weserzeitung, Apr.16, 1996


« Und wie sich Geschichte und Natur verbraucht, unterzieht auch der Künstler seine Arbeiten einem künstlichen Alterungsprozess. Aufmerksam geht er auf Spurensuche, findet Geschichten, Ereignisse, sieht verwittertes Gestein, moosige Flechten, Sprünge und Risse in trockener Erde, benutzt sie als Metapher auf den Tod, stets wissend, dass auch ihm neues Leben folgt ».

Helga Köbler-Stählin, Passagen, May 1997


« Dabei ist ihm aber wichtig, nicht Beliebiges herzustellen. Auch wenn sich dies auf Anhieb nicht offenbart, “ das Politische in der Kunst ist mir auch heute noch wichtig “. Aber er will es subtiler vermitteln. Positive Eindrücke sollen die Bilder hinterlassen, Anstöße zum Reflektieren geben ».

Thomas Brückelmeier in Die Rheinpfalz, Sep.5, 1997


« Starke Kontraste dieser Art vermeidet Heinrich in den neueren Arbeiten; es sieht so aus, als strebe er einer Ton-inTon-Malerei in ruhigen Flächen zu. Sie erzeugen Vorstellungen von Landschaft, von zugleich imaginärer, entschwundener und immerwährender Landschaft: Vergangenheit in Stein und Erde als Projektion schwermütigere Sehnsucht. Die Farben haben eine altmeisterlich anmutende Tiefe ».

Heike Marx in Die Rheinpfalz, Sep.17, 1997 


« Die Dinge auf den Punkt bringen, die Essenz aus ihnen herausholen, ist das Anliegen Christian Heinrichs. Hieraus resultiert seine Suche nach zeitlosen Urformen und archetypischen Motiven, die bei jedem Menschen unbewusste Erinnerungen wecken und einen Wiedererkennungseffekt hervorrufen ».

Dr. Andrea Goesch, Wiesbaden, August 1998


« Da bricht eine von brauner Patina überzogene Gitterstruktur auf und wie Lava quillt eine noch unförmige aber verheißungsvoll helleuchtende Masse hervor. In der Abstraktion lässt sich unschwer eine Metapher auf das in den erzwungenen Strukturen von Ost und West erstarrte Berlin erkennen, das seit der Wiedervereinigung in jeglicher Hinsicht aufbricht ».

Veit Stiller, Die Welt, 21.Dezember 1998


« Kristallene Schärfe und Farbkontraste wie auf Schmetterlingsflügeln wechseln mit erdigen, amorphen, schaumigen oder feinstrukturierten Flächen. Einzelne Gegenstände oder Ereignisse heben sich oft von einem neutralen, aber nie nebensächlichen Hintergrund ab. In allem Statischen wird eine unablässige Bewegung sichtbar ».

Prof. Dr. Wilhelm Gauger, Dezember 1999


« Christian Heinrich verwendet in seinen Arbeiten Papier nicht nur als Trägermaterial. Es ist für ihn unmittelbares Gestaltungselement. Bei seinen Landschaften und Felsformationen denkt man an Seelenlandschaften, bei denen sich der äußere Eindruck mit Empfindungen und Erinnerungen vermischt ».

Dr. Helmut Orpel, Art Profil (Kunstmagazin), Dezember 1999

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